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In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen – was steckt dahinter?

Stammzellen

Viele In-vitro-Testsysteme und Ersatzmethoden zum Tierversuch basieren auf der Verwendung von Stammzellen. Als Stammzellen werden undifferenzierte Zelle eines vielzelligen Organismus verstanden, die in der Lage sind, unendlich viele weitere Zellen desselben Typs hervorzubringen und aus denen durch Differenzierung bestimmte andere Zelltypen entstehen können. Mithilfe von Stammzellen können Forscher:innen u. a. molekulare Mechanismen des Körpers und damit verbundene Krankheiten verstehen, patientenspezifische Krankheitsmodelle im Labor aufbauen und so bspw. durch die Testung von Wirkstoffen in diesen Modellen spezifische Therapieansätze entwickeln.

Embryonale und adulte Stammzellen

Embryonale (sogenannte pluripotente) Stammzellen können in alle Gewebe des Körpers differenzieren, während sich adulte (multipotente) Stammzellen nur noch in bestimmte Gewebetypen entwickeln können. Für die Forschung und die Medizin sind embryonale Stammzellen aufgrund ihres Differenzierungspotenzials zwar grundsätzlich besonders interessant, jedoch ist deren Verwendung und insbesondere Gewinnung ethisch höchst problematisch, da für deren Gewinnung ein menschlicher Embryo zerstört werden muss.

Die Verwendung adulter Stammzellen ist zwar ethisch weit weniger problematisch, jedoch können diese bereits spezialisierten Stammzellen nur noch bestimmte Zelltypen des menschlichen Körpers (z. B. verschiedene Zelltypen der Haut, nicht aber Blut- oder Nervenzellen) hervorbringen.

Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS)

Ethisch weit weniger problematisch als die Arbeit mit embryonalen Stammzellen ist die Verwendung von sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS). Aufgrund ihrer Differenzierungseigenschaften sind iPS-Zellen fast genauso vielseitig wie embryonale Stammzellen. Durch eine künstliche Reprogrammierung von nicht-pluripotenten Körperzellen (sogenannten somatischen Zellen) kommt iPS-Zellen ein fast ebenso hohes medizinisches Potenzial zu als embryonalen Stammzellen. Medizinisch besonders interessant ist die Tatsache, dass bspw. aus einfachen Hautzellen eines/einer Patient:in patientenspezifische iPS-Zellen erzeugt werden können.

Sphäroide und Organoide

Sphäroide

Sphäroide sind einfache 3D-Zellaggregate, die entstehen, wenn Zellen während der Kultur im Labor räumlich stark begrenzt werden und in Folge dessen aneinanderhaften. Über einen längeren Zeitraum betrachtet lässt sich beobachten, dass die Zellen im Sphäroid miteinander interagieren, sich mit ihrer eigenen gewebespezifischen extrazellulären Matrix (einer komplexen Mischung verschiedenster Biomoleküle) umgeben und fortan auch mit den darin enthaltenen Biomolekülen wechselwirken. Diese natürliche Mikroumgebung liefert den Zellen u. a. wichtige Signalmoleküle, Wachstumsfaktoren und biologische Reize, die für die Selbstorganisation der Zellen wichtig sind. Durch die kugelförmige Anordnung bildet sich im Zellaggregat ein metabolischer Gradient aus, bei dem die Konzentration an Nährstoffen, Sauerstoff, aber auch diversen Stoffwechselprodukten der Zellen variiert. In der äußersten Schicht teilen sich die Zellen und werden über das sie umgebende Nährmedium gut versorgt. Die Zellen der inneren Schicht befinden sich aufgrund der veränderten Konzentrationen in einem ruhenden Zustand, während die Zellen im Kern des Sphäroids über die Zeit absterben und so einen nekrotischen Kern bilden. Sphäroide verhalten sich durch die 3D-Anordnung mehr wie ein natürliches Gewebe, als Zellen in einer herkömmlichen Zellkulturschale es tun. Durch die sich ausbildenden Schichten sowie die Konzentrationsgradienten darin ähneln die Zellaggregate soliden Tumoren und werden deshalb häufig in der Krebs- und Wirkstoffforschung als In-vitro-Modell verwendet.

Organoide

Organoide entstehen, wenn Zellen sich im dreidimensionalen Raum selbst organisieren und dabei im Gegensatz zu einfachen Sphäroiden komplexe, organähnliche Strukturen ausbilden. Die Gewebestrukturen eignen sich für viele wissenschaftliche Untersuchungen deutlich besser als zweidimensionale Zellkulturen oder auch Sphäroidkulturen, da sie aufgrund ihrer Beschaffenheit, Zusammensetzung und Funktionalität dem natürlichen Organ im Körper ähneln. Durch die Verwendung menschlicher (Stamm)Zellen sind sie Tierversuchen hinsichtlich ihrer Aussagekraft oft weit überlegen und stellen dadurch einen vielversprechenden Ansatz für die Entwicklung von Medikamenten, der Entwicklung von Krankheitsmodellen und für die Krebsforschung dar.

Organoide können aus pluripotenten Stammzellen oder Organvorläuferzellen generiert werden, die dafür i. d. R. in ihre jeweilige gewebespezifische extrazelluläre Matrix eingebettet werden, die den Zellen u. a. wichtige Signalmoleküle, Wachstumsfaktoren und biologische Reize liefert, die für die Selbstorganisation der Zellen in die dreidimensionalen organähnlichen Gewebestrukturen wichtig sind.

Gewebemodelle

Um bspw. den Einfluss neuer Substanzen im Verbraucherschutz, die Auswirkungen von UV-Strahlung oder den Einfluss neuer Wirkstoffe in der präklinischen biomedizinischen Forschung auf bestimmte Organe oder Gewebe untersuchen zu können, werden im Labor verschiedenste 3D-Gewebemodelle entwickelt. Durch die Verwendung menschlicher Zellen sind sie ethisch weit weniger kritisch als Tierversuche und darüber hinaus aufgrund der besseren Übertragbarkeit oft aussagekräftiger.

Der Aufbau dieser humanen Gewebemodelle spiegelt sowohl in Bezug auf die Architektur als auch auf die zum Aufbau verwendeten gewebespezifischen Zellen und Biomoleküle wider und ermöglicht es darüber hinaus, auch die jeweiligen Funktionalitäten der einzelnen Schichten nachzustellen. Neben den oben genannten Anwendungen können die In-vitroModelle auch dafür verwendet werden, die molekularen Vorgänge während einer Infektion zu untersuchen oder spezielle krankhafte Veränderungen der Gewebe zu verstehen.

Organ-on-Chip-Systeme und Multi-Organ-Chips

Unter Organ-on-Chip-Systemen werden kleine dreidimensionale Polymer-Chips verstanden, die von winzigen Kanälen und Kammern im Mikrometermaßstab durchzogen werden und in denen gewebespezifische Zellen, Sphäroide oder Organoide unter mikrophysiologischen Bedingungen kultiviert werden können. Das bedeutet, die Zellen werden wie im natürlichen menschlichen Gewebe in eine spezifische extrazelluläre Matrix eingebettet und so in die kleinen Kammern der Chips integriert. Mithilfe spezieller Membranen werden die Blutgefäße im Chip nachgebaut, in denen das Nährmedium als Blutersatz fließen kann. Auf diese Weise werden die Zellen analog zum menschlichen Körper dynamisch mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt, Stoffwechselprodukte abführt und die Zellen fluidmechanischen Reizen ausgesetzt. Da die Chips so die natürliche, dreidimensionale Mikroumgebung der Zellen im Gewebe nachbilden, verhalten sich die enthaltenen Zellen und Gewebe ganz ähnlich, wie sie es auch im menschlichen Körper tun würden. Auf diese Weise können anhand des Zellverhaltens bspw. die Wirkung neuer Arzneimittel oder der Einfluss externer Reize auf die Zellen untersucht werden.

Organ-on-Chip-Systeme kombinieren folglich die Alleinstellungsmerkmale klassischer In-vitro-Modelle (menschliche Zellen und Gene) und der Tiermodelle (komplexe 3D-Gewebe und Blutkreislauf). Mit diesen mikrophysiologischen In-vitro-Testsystemen können verschiedenste medizinische, biologische, pharmakologische und toxikologische Fragestellungen beantwortet werden, ohne dabei auf Versuchstiere zurückgreifen zu müssen.

In-silico-Modelle

Unter dem Begriff In-silico-Modell werden hochkomplexe mathematische Computersimulationen verstanden, die auf einer großen Menge bereits verfügbarer Tierversuchs- und Labordaten basieren und mit deren Hilfe die Auswirkungen spezifischer Substanzen auf den menschlichen Organismus vorhergesagt werden können. Solche Modelle kommen bspw. bei der Entwicklung neuer Medikamente zum Einsatz, um die Wechselwirkung einer Substanz mit den organspezifischen Zellen zu ermitteln und potenziell gefährliche Wirkstoffe bereits im Vorfeld identifizieren zu können. Auf diese Weise kann bereits frühzeitig vorhergesagt werden, wie und von welchen Organen ein neuer Wirkstoff vom Körper aufgenommen und verstoffwechselt wird.

Auch für die Untersuchung von Krankheiten und deren zugrunde liegenden molekularen Mechanismen werden In-silico-Modelle entwickelt, die dabei helfen, komplexe Zusammenhänge verstehen zu können. So ist es auch möglich, potenzielle Ansatzpunkte für neue Therapien zu identifizieren oder den Versuchsplan von klinischen Studien zu optimieren.

Auch in der Fort- und Weiterbildung können Computersimulationen Tierversuche ersetzen, indem sie z. B. Studierenden den Aufbau des Körpers von Menschen und Tieren virtuell erleben und untersuchen lassen, ohne dabei auf Frösche oder Rinderaugen zurückgreifen zu müssen.

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