Mit seiner vergleichsweise hohen Dichte an Universitäten und Universitätskliniken (davon allein vier Exzellenzuniversitäten) und der vergleichsweise hohen Dichte an pharmazeutischer und chemischer Industrie bildet Baden-Württemberg einen der wichtigsten biomedizinischen Forschungsstandorte in der Bundesrepublik Deutschland. Infolgedessen kommt dem drittgrößten Bundesland der Republik folgerichtig eine besondere Verantwortung hinsichtlich des Tierschutzes von Versuchstieren zu.
Das 3R-Netzwerk Baden-Württemberg
Baden-Würrtembergs besondere Verantwortung beim Schutz von Versuchstieren
Förderung von 3R-Aktivitäten in Baden-Württemberg
Seit Anfang 2020 verfolgt das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK) Baden-Württemberg mit der Förderoffensive „Förderung von Aktivitäten zur Vermeidung, Verringerung und Verbesserung (Replacement, Reduction, Refinement – 3R) von Tierversuchen“ das Ziel, ein in Deutschland bislang einzigartiges, flächendeckendes 3R-Netzwerk aufzubauen. Dabei werden alle wesentlichen biomedizinischen Standorte im Land einbezogen, um die wissenschaftliche Forschung und den Tierschutz gleichermaßen voranzubringen und so die Anzahl an Tierversuchen in der Forschung und Lehre aktiv und nachhaltig zu reduzieren.
Das 3R-Netzwerk Baden Württemberg – Starke Partner:innen, starke Projekte
Um eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema Tierschutz in Forschung, Lehre, Politik sowie der Gesellschaft zu gewährleisten, bildeten zuletzt fünf 3R-Center das Grundgerüst des 3R-Netzwerks Baden-Württemberg, die jeweils als eine Art Kristallisationskeim für dessen Ausweitung fungieren. Flankiert wird die Arbeit der 3R-Center durch Forschungs- und Lehrprojekte in unterschiedlicher thematischer Ausrichtung.
Durch die Bündelung der individuellen Expertisen der baden-württembergischen Forscherinnen und Forscher überspannt das 3R-Netzwerk Baden-Württemberg nicht nur in geografischer Hinsicht das gesamte Land, sondern auch bezüglich der 3R-Aktivitäten.
Projekte im 3R-Netzwerk Baden-Württemberg
3R-Center Tübingen für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen
Im Fokus des 3R-Centers Tübingen für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen stehen Organ-on-Chip- und Mikrophysiologische Systeme als human-relevante Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen. Dabei engagiert sich das 3R-Center, das gemeinschaftlich von der Medizinischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen und dem NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut an der Universität Tübingen in Reutlingen getragen wird, im Schwerpunkt “Replace” in den Bereichen:
- Wissenschaftskommunikation & Öffentlichkeitsarbeit
- Ausbildung, Weiterbildung & Training
- Forschung & Core Facility
Ziel ist es, einen niederschwelligen Zugang zu diesen neuartigen Modellen und Technologien in der biomedizinischen und pharmazeutischen Forschung zu schaffen.
Weitere Informationen über die Arbeit des 3R-Centers Tübingen, die monatlich stattfindende #Talking3RScience-Webinarserie sowie alle Veranstaltungen finden Sie auf unserer Website, unserem X-Kanal oder auf LinkedIn.
3R-Zentrum Rhein-Neckar
Das von der Universität Heidelberg und dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim gemeinsam getragene 3R-Zentrum Rhein-Neckar komplementiert mit seinem Fokus im Schwerpunkt “Refine” und “Reduce” die Arbeit des 3R-Centers Tübingen und verfolgt dabei vier Hauptaspekte: Aufbau einer zentralen Datenbank für Tiermaterial, Aktivitäten in Weiterbildung und Lehre sowie Open Access, Hilfe zur Gestaltung neuer Experimente und Betreuung interner 3R-Forschungsaktivitäten.
CAAT-Europe (Center for Alternatives to Animal Testing Europe)
Der Fokus des 3R-Vorhabens „NAM-ACCEPT – Forschungs- und Harmonisierungsmaßnahmen zur Förderung der Akzeptanz tierfreier neuer Ansatzmethoden in verschiedenen Interessensgruppen“ des transatlantischen Bündnisses CAAT-Europe (Center for Alternatives to Animal Testing in Europe) zwischen der Universität Konstanz und der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, USA liegt auf einer besseren In-vitro- zu In-vivo-Übertragbarkeit, was besonders in puncto Stofftransport von Wirkstoffen (Biokinetik) und deren gewollter und ungewollter Effekte eine hohe Relevanz in der Therapie hat. Zudem wird eine weitere internationale Standardisierung uns Harmonisierung neuer Methoden und der Datenverarbeitung angestrebt.
Interdisziplinäres Zentrum zur Erforschung von Darmgesundheit
Das Interdisziplinäre Zentrum zur Erforschung von Darmgesundheit der Universität Heidelberg widmet sich in ihrem Vorhaben der Erforschung von Darmerkrankungen. Der Fokus liegt dabei auf der personalisierten Analyse von Funktionsstörungen des Darmnervensystems anhand von Patientendaten und individueller In-vitro-Modelle. Das langfristige Ziel dabei ist die Generierung patientenspezifischer 3D-Organoide, bestehend aus Darmepithel, Immun- und Nervenzellen, in welche die individuellen Organfunktionen nachgeahmt werden kann, um damit zu einem besseren Verständnis und zur besseren Behandlung von Darmerkrankungen beizutragen.
3R-US: Ex-vivo-Tumorgewebe-Plattform als Ersatz für Tierversuche
Das von der Universität Stuttgart und dem Robert-Bosch-Krankenhaus/Institut für Klinische Pharmakologie gemeinschaftlich getragene 3R-US Netzwerk hat sich im Schwerpunkt molekulare Diagnostik, Biomaterialien und Simulation zum Ziel gesetzt, neue Akzente für die Integration von Ingenieurwissenschaft in die biomedizinische Forschung zu setzten. Dabei wird eine vaskularisierte Ex-vivo-Technologie-Plattform aufgebaut, welche die Komplexität und Heterogenität eines humanen Tumors (Brustkrebs und Eierstock) widerspiegelt, um die Erprobung neuer, zielgerichteter Therapeutika und Kombinationstherapien zu erlauben. Tumormodelle sollen dabei aus Biomaterialien und Zellen mit 3D-Druckverfahren naturgetreu als Ersatzsystem für Tierversuche aufgebaut werden. Langfristig sollen die ex vivo gewonnenen Daten eine Basis für die Entwicklung von In-silico-Tumormodellen für die Simulation und Prädiktion therapeutischer Effekte bilden.
Überwindung translationaler Hürden
Im Forschungsprojekt „Überwindung translationaler Hürden – Verbesserung der Evidenz und des prädiktiven Wertes bei experimenteller Forschung“ der Universität Freiburg wird ein systematischer, meta-analytischer Ansatz zur Detektion und Korrektur momentan vorherrschender „Publikationsbias“ entwickelt, um die Übertragung von präklinischen Studien zu Rückenmarksverletzungen in die Anwendung ohne zusätzliche Tierversuche zu verbessern.
Refinement in komplexen belastenden Versuchen an Mäusen
Das Vorhaben „Refinement in komplexen belastenden Versuchen an Mäusen“ der Universität Ulm begleitet Versuche aus der Traumaforschung und etabliert und verbessert dabei Refinement-Maßnahmen für Tiere, die durch Experimente oder die Zucht besonders belastet sind.
Charakterisierung und Weiterentwicklung heterotypischer 3D-Sphäroide aus Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinomen
Im Forschungsprojekt „Charakterisierung und Weiterentwicklung heterotypischer 3D-Sphäroide aus Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinomen“ der Universität Heidelberg werden 3D-Sphäroide, die die Tumorgeometrie widerspiegeln, optimiert und weiterentwickelt, um individualisierte Therapien für Plattenepithelkarzinome zu etablieren. Dabei werden humanisierte Kulturbedingungen verwendet, um fetales Kälberserum zu ersetzen.
3R-BioMED-Lab
Das Projektlernlabor „BioMED-Lab“ der Hochschule Reutlingen für Studierende im Bachelorstudiengang Biomedizinische Wissenschaften wird um 3D-Bioprinting-Methoden und ein Videorepositorium, die praxisbezogene Wissensvermittlung sowie die Reflexionsfähigkeit ethischer und rechtlicher Aspekte von Tierversuchen erweitert. Dies soll zu einer vertieften Ausbildung im 3R-Bereich für angehende Absolvent:innen führen.
6R-Kurse (Reduction, Refinement, Replacement, Robustness, Registration, Reporting) zur Verbesserung der Qualität von tierexperimentellen Studien in der biomedizinischen Forschung
Das Ziel des Lehrprojekts an der Universität Ulm ist die Etablierung und Durchführung anerkannter, zertifizierter „6R-Kurse“ zur Verbesserung der Qualität von tierexperimentellen Studien in der biomedizinischen Forschung. Die Kurse werden dabei den gesamten Animal Walfare-Bereich im Tierversuch mit zwei Schwerpunkten abdecken: 1) Belastungen im Tierversuch erkennen und reduzieren und 2) zeitgemäßes Qualitätsmanagement im Tierversuch zur Steigerung der Reproduzierbarkeit von Tierversuchen und der Translationsquote. Die Kurse wenden sich an Wissenschaftler:innen, Tierschutzbeauftragte, Tierhausleiter:innen und Behördenvertreter:innen.
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